Rezension
Wilde Gänse - Reisende zwischen
Wildnis und Weideland
 

Ein Buch, das Sympathie für Gänse schafft

Rezension: Wolfgang Lübcke, 2007

Große Gänseschwärme am Dollart, am Niederrhein oder am Gülper See im Havelland täuschen darüber hinweg, dass es sich um bedrohte Arten handelt. Sympathie fördert die Akzeptanz von Schutzmaßnahmen für diese interessanten Vögel, die in jedem Herbst als Wanderer zwischen den Welten aus ihrer arktischen Brutheimat zu uns kommen, um hier den Winter zu verbringen. Dazu leistet das Buch mit lebendigen Texten und ansprechenden Bildern einen hervorragenden Beitrag. Als Autoren konnten drei renommierte Gänseforscher gewonnen werden. Hans-Heiner Bergmann (Bad Arolsen) war Zoologieprofessor in Osnabrück und hat viele Jahre Freilandstudien an Wildgänsen betrieben. Für die Leser der Vogelkundlichen Hefte Edertal hat er in Band 31/2005 einen umfangreichen Beitrag verfasst mit dem Titel „Wildgänse zwischen Eder und Diemel in den Jahren 1993 bis 2004“.

Die Autoren sehen die Gänse „als ein Beispiel für die Begegnung zwischen Natur und Mensch und auch für die Art und Weise, wie wir Menschen mit der uns anvertrauten Natur umgehen“.

Das Buch beantwortet viele Fragen zur Kulturgeschichte der Gänse, ihren Wanderungen, zur Biologie oder zum Verhalten. Es ist allgemeinverständlich geschrieben und ein Lesegenuss für jeden Naturfreund. Selbst die oft eher trockenen Artporträts sind in diesem Buch spannend geschrieben. Zugleich sind die Texte für fachlich interessierte Ornithologen und Naturschützer informativ, insbesondere, weil sie auch ganz aktuelle Forschungsergebnisse einbeziehen und faszinierende Möglichkeiten des Artenschutzes mit den Mitteln moderner Technik aufzeigen.

  Die Autoren stellen sich auch Konfliktthemen wie Schäden in der Landwirtschaft und Gänsejagd.

Weideschäden müssen noch keinen Ernteschaden bedeuten. Raps und Wintergetreide können sich nach Gänsebeweidung prächtig erholen. Aber – so räumen die Autoren ein: Es gibt „auch Situationen, die zu einem wirklichen Konflikt zwischen den ökonomischen Anforderungen der Landwirtschaft und den Bedürfnissen der Wildgänse führen.“ Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass auf sehr intensiv von Gänsen beweideten Wiesen der erste Grasschnitt um maximal 30% vermindert sein kann. Verschiedene Problemlösungen werden diskutiert, von Ausgleichszahlungen bis hin zu Schutzgebieten für Wildgänse und Vertragsnaturschutz, wie er z. B. in Niedersachsen praktiziert wird. Keinen Sinn macht es, die Tiere verscheuchen zu wollen. Fliegende Gänse verbrauchen fünfzehn Mal mehr Energie als ungestörte Vögel. Die Gänseforscher plädieren dafür, die Landnutzung in einem Gänseüberwinterungsgebiet auf die landschaftsökologischen Erfordernisse auszurichten: „Je größer die für die Gänse verfügbare Fläche ist, desto geringer wird der lokale Schaden sein, den sie durch ihr Weiden anrichten.“

Als „antiquiertes Hobby“ kritisieren die Autoren die Gänsejagd. Dazu nur zwei Beispiele:
Zwar gibt es noch 600.000 Tundrasaatgänse, aber nur noch 80.000 Waldsaatgänse, deren Lebensraum die Taiga ist. Beide Arten kann der Jäger nicht unterscheiden. Will man die seltene Waldsaatgans schützen, darf man die Tundrasaatgans nicht bejagen.

Obwohl die Zwerggans offiziell überall geschützt ist, werden nach wie vor viele geschossen, insbesondere weil sie mit Blessgänsen verwechselt werden. So gilt die Jagd als Hauptursache für den Rückgang dieser gefährdeten Art.

Positiv wird ein gelenkter Gänsetourismus gewertet. Auf der Hallig Hooge z. B. finden alljährlich im Mai Ringelganstage statt, ein willkommener Beitrag zur Saisonverlängerung.

Ein eigenes Kapitel wird dem „Modell Linum“ gewidmet. Das 700-Seelen-Dorf liegt in Brandenburg, nur 45 Bahn-Minuten von Berlin entfernt. Bekannt ist es als Storchendorf, aber hier ist auch der größte Kranichrastplatz Mitteleuropas entstanden und es versammeln sich alljährlich bis zu 40.000 Bless- und Saatgänse. U. a. engagiert sich der NABU für dieses einmalige Gebiet. Das Vogelschutz-Komitee e. V. hat die Jagd gepachtet, die natürlich nicht ausgeübt wird. Für notwendige Flächenankäufe wird Geld gesammelt. Und es ist ein Ort für Naturerleben! Gänsetourismus schafft Sympathie für die Natur.

 

BERGMANN, H.-H., KRUCKENBERG, H. u. V. WILLE (2006):
Wilde Gänse. Reisende zwischen Wildnis und Weideland.
G. Braun Buchverlag Karlsruhe, ISBN 978-3-7650-8321-1, 26,80 Euro

Rezension von Wolfgang Lübcke, 2007