Der Kleiber ist
Vogel des Jahres 2006

 

 Informationen zum Kleiber in Waldeck-Frankenberg

Wolfgang Lübcke

Der Kleiber ist keine Rote-Liste-Art, gleichwohl ist er vom NABU zum Vogel des Jahres 2006 gewählt worden. Denn er steht für wichtige Lebensräume. Zum einen ist er ein typischer Bewohner der heimischen Rotbuchen- und Eichenwälder. Besonders attraktiv für ihn sind dort alte Bäume mit rauer Rinde und abgestorbenen Ästen, wo er Nahrung, aber auch als Nachmieter Spechthöhlen findet. Zum anderen ist der Kleiber auch ein typischer Bewohner von Streuobstwiesen mit alten Hochstämmen.
 

Foto: NABU/M. Delpho

Was den Kleiber interessant macht

Es sind auch einige Besonderheiten in seiner Lebensweise und seinem Verhalten, die den Kleiber als Zielart für den Naturschutz geeignet machen. Eine Besonderheit kennzeichnet schon der Name. Kleiber kommt von Kleber: Der Kleiber ist der Maurermeister unter den heimischen Vögeln. Insbesondere das Weibchen trägt erbsengroße Lehmklumpen herbei, die es knetet und durchspeichelt, um dann das Einflugloch der Bruthöhle damit so zu verkleinern, dass der Vogel gerade noch einschlüpfen kann. Konkurrenten um die Nisthöhle werden auf diese Weise ferngehalten. Betrachtet man die gemauerte Fläche, erkennt man viele kleine Schnabelabdrücke als Zeichen der Fleißarbeit des Vogels. Manchmal findet man auch Tierkot (Losung) in den Lehm gemischt - ein Verfahren zur Erhöhung der Haltbarkeit, das auch in der Lehmbautechnik von menschlichen Baumeistern angewendet wurde. Bisweilen scheinen Kleiber ihren Trieb zum Mauern über das notwendige Maß abzureagieren. Von einem extremen Beispiel berichtet Horst Hühn (Nieder-Werbe). An einem Nistkasten, der aus einer Plastikröhre hergestellt wurde, hatte im Jahre 2003 ein Kleiber sage und schreibe 2,5 Pfund Lehm verbaut, z. B. unter dem Dach und auch außen am Kasten. Mehrfach konnte beobachtet werden, dass Kleiber Eulen-Nistkästen für ihren Bedarf herrichteten. Bei der Kartierung von Großhöhlen im Jahre 2005 im Burgwald entdeckten Michael Hoffmann und Lösekrug acht Höhlen, die der Kleiber bezogen hatte. Kleiber können kopfunter die Baumstämme herabklettern. Mit dem ahleförmigen Schnabel stochern sie in der Borke nach Motten, Käfern, Spinnen, Larven und Insekteneiern. Obwohl er auch den Namen „Spechtmeise“ trägt, kann der Kleiber nicht wie ein Buntspecht Löcher in das Holz hacken, aber durchaus Rindenstücke abspalten. Mit seinem kräftigen Schnabel kann er sogar Nüsse knacken. Er klemmt diese an einem geeigneter Platz ein und hackt so lange auf dieselbe Stelle der Nuss bis die Schale springt. Ähnlich wie Eichelhäher betreibt er Vorratswirtschaft und versteckt Nüsse und Bucheckern. Da er recht ortstreu ist, findet er viele davon wieder, mit den nicht wiedergefundenen Samen betätigt er sich jedoch als Gärtner.

Lebensraum

Der Kleiber bevorzugt lichte Laubmischwälder mit eingestreuten Nadelhölzern. Optimal sind Mischwälder von Eiche, Buche und Kiefer. Nach Angaben von Erlend Martini in der „Avifauna von Hessen“ scheint starke Naturverjüngung bzw. dichtes Unterholz die Revierdichte negativ zu beeinflussen. Fichtenmonokulturen werden nur selten vom Kleiber bewohnt. Kontrollen von ca. 640 Nistkästen in der Umgebung von Korbach haben gezeigt, dass der Kleiber größere Gruppen älterer, rauborkiger Bäume braucht. Außer den Wäldern wurden auch die innerstädtischen Grüngürtel in Korbach besiedelt. Bernd Hannover stellte erfolgreiche Nistkastenbruten in nur 0,7 bzw. 0,8 ha großen Feldgehölzen mit altem Baumbestand zwischen Korbach und Lelbach fest. Selten ist der Kleiber auch in Obstbaumbeständen der Dörfer als Brutvogel anzutreffen, z. B. 1970 in einem Apfelbaum im Ortsinneren von Anraff. In Wellen fand sich 1976 sogar eine Gebäudebrut. An einem Backsteinhaus in Waldrandnähe wurde eine Mauerlücke bis auf das nötige Einflugloch geschlossen.

Wie häufig ist der Kleiber?

Die Siedlungsdichte des Kleibers kann durch das Aufhängen von Nistkästen deutlich gesteigert werden, wie z. B. Nistkastenkontrollen von 1961 bis 1980 im Waldecker Berg bei Korbach belegt haben. Aktuelle Nistkastenkontrollen aus dem Jahre 2005 brachten folgende Ergebnisse. Wald um Nieder-Werbe: In 238 Nistkästen 9 Brutpaare, außerdem ein Nestanfang (H. Hühn) Wald bei Böhne: In 75 Nistkästen 4 Brutpaare (H. Heck) Eine Linientaxierung in einem Gebiet ohne Nistkästen wurde am 11.4.1992 entlang des Ederseehanges zwischen Waldeck und Hemfurth - jetzt ein Abschnitt des Urwaldsteigs - durchgeführt. Entlang der 4 km langen Strecke stockt ein Mischwald mit vielen alten, zum Teil hohlen Buchen und Eichen. Hier wurden zehn rufende Kleiber gezählt (W. Lübcke).


Fotos: NABU/Boemke

Was machen Kleiber im Winter?

Im Winter streifen Kleiber gern in Meisengesellschaften umher. Sie kommen auch in Ortschaften an Fütterungen. Während Kleiber in dem Gehölzgürtel der Eder nicht brüten, kann man sie dort häufig bei der Wintervogelkartierung entlang der Eder antreffen. Bei der Zählung am 30.12.2005 wurden entlang des 135 km langen hessischen Ederabschnittes in 16 von 19 Zählabschnitten Kleiber beobachtet, insgesamt 64 Exemplare. Als Maximalzahl in diesem Bereich wurden am 6.2.2005 80 Kleiber registriert. Interessant ist, dass Eduard Schoof in seinem Aufsatz „Die Vögel der Ederauen und die Auswirkungen ökologischer Veränderungen im Edertal auf die Vogelwelt“ (Vogelring 22: 139-153) aus dem Jahre 1953 den Kleiber nicht in der Rubrik „Überwinterer“ aufführt. Infolge der Bombardierung der Ederseesperrmauer im Mai 1943 gab es in den Ederauen keine älteren Weidenbestände mehr. Heute trifft man den Kleiber bei der Wintervogelzählung bevorzugt an den rauborkigen älteren Weiden. Wenn man dem Kleiber helfen will, haben Nistkästen nicht nur als Bruthöhlen eine große Bedeutung. Man hat herausgefunden, dass Kleiber nach den Kohlmeisen am zweithäufigsten beim winterlichen Nächtigen in Nistkästen angetroffen werden. So ergaben z. B. Nistkastenkontrollen im Dezember 1971 in dem 25 Hektar großen Waldgebiet „Roter Berg“ bei Anraff 16 übernachtende Kleiber (W. Lübcke). Systematisch untersucht hat das winterliche Nächtigungsverhalten Eckhard Jedicke in Bad Arolsen. Die ersten übernachtenden Tiere stellte er am 22. August fest. Die Belegung erreichte ihren Höhepunkt im Dezember und fiel dann langsam bis zum März hin ab.

Beobachtungen an der Kinderstube des Kleibers

Ein ungewöhnlich frühes Eintragen von Nistmaterial in die Bruthöhle beobachtete Anneliese Kuprian am 30.1.1975 bei Schweinsbühl. Am 26.3.1970 wurde ein Kleiber beim Zumauern des Einflugloches gesehen. Eckhard Jedicke traf am 2.5.1977 etwa 12 Tage alte Nestlinge an. Daraus letzt sich Ende März als Legebeginn errechnen. Das Weibchen trägt das Nistmaterial ein: trockene Eichen- oder Buchenblätter und wenn Kiefern in der Nähe sind, bevorzugt deren papierähnliche, rotbraune Spiegelrinde. Ein Vogelnest, das nur aus der Spiegelrinde von Kiefern gebaut ist, lässt sich unverwechselbar als die Kinderstube des Kleibers bestimmen. Hier legt das Weibchen dann sechs bis acht milchweiße, rostrot gesprenkelte Eier ab. Es wurden auch schon erfolgreiche Neungelege gefunden. Nach dem Schlüpfen bleiben die Jungen etwa vier Wochen in der Höhle. Sie werden eifrig von beiden Eltern gefüttert. Die Familie hält nach dem Flüggewerden der Jungen noch bis in den Sommer hinein zusammen.

Wolfgang Lübcke

Allgemeine Informationen zum Kleiber: www.vogel-des-jahres.de